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SPRACHE nach Eugenio Coseriu

(comp.) Justo Fernández López

Diccionario de lingüística español y alemán

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DIE GESAMTSTRUKTUR DER SPRACHE

Eugenio Coseriu

„Der Begründer der modernen theoretischen und allgemeinen Sprachwissenschaft  und der wichtigste Vorläufer der heutigen synchronischen und funktionellen  Betrachtung der Sprachen, Wilhelm von Humboldt (1767-1835), hat die Sprache  im allgemeinen (frz. "langue") als enérgeia (Tätigkeit) charakterisiert. In seiner Abhandlung "Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues" sagt er nämlich: "Sie selbst (die Sprache) ist kein Werk (Ergon), sondern  eine Tätigkeit (Energeia)."   Diesen Satz von Humboldt findet man in der modernen Linguistik sehr oft wiederholt, aber leider sehr selten genau interpretiert. Man sagt fast  immer, dass er damit das so genannte "Lebendige" in der Sprache  unterstreichen wollte, dass er die Sprache an erster Stelle als Rede, als  Sprechtätigkeit betrachtete und man lässt sogar den humboldtschen  Unterschied zwischen enérgeia und érgon mit dem Unterschied von F. de  Saussure (1857-1913) zwischen parole  und langue zusammenfallen, der etwas  ganz anderes ist. Dabei vernachlässigt man fast immer das Wichtigste: die  Tatsache, dass Humboldt ein aristotelischer Denker war, dass er auf die  Sprache auch einen anderen berühmten aristotelischen Unterschied angewandt  hat (den Unterschied zwischen Form und Stoff, morphé und hyle ) und dass er  gerade in diesem Satz ganz klar auf seine aristotelischen Grundlagen  anspielt. Humboldt sagt nämlich nicht bloß "Tätigkeit" und "Werk": er fügt  die griechischen Wörter energéia und érgon hinzu, und zeigt damit ganz  deutlich, dass er unter "Tätigkeit" nicht irgendeine 'Handlung' meint,  sondern eine besondere und bestimmte Art von Tätigkeit, im Sinne des von  Aristoteles eingeführten und definierten Fachausdrucks energéia. 

Aristoteles 'ENERGEIA' und 'DYNAMIS'

Aristoteles hat dieses Wort eingeführt um einen Begriff zu bezeichnen, den  er selbst entdeckt hatte: den Begriff der schöpferischen Tätigkeit, oder  mit aristotelischen Worten, der Tätigkeit, die ihrer eigenen Potenz  vorausgeht und die von der Potenz (dynamis ) unabhängig ist. Und gerade um die Neuheit dieses Begriffes zu unterstreichen, gebraucht Aristoteles dafür keines der im Griechischen schon existierenden Wörter, wie práxis  oder  póiesis. Wenn Humboldt die Sprache als "Tätigkeit" charakterisiert, meint er "schöpferische Tätigkeit" in diesem selben aristotelischen Sinn.

Dass die Sprache eine menschliche Tätigkeit ist, dass sie sich konkret als Sprechen (oder Schreiben), d.h. als eine Handlung darstellt, ist an sich eine geläufige, banale Feststellung. Nun aber sind die Tätigkeiten im  allgemeinen zweierlei: nämlich Tätigkeiten, die Wirkungen, Ergebnisse haben  können, die sich aber ganz in ihren Wirkungen erschöpfen (z.B. Atmen, das  Laufen) und Tätigkeiten, deren Resultat ein Erzeugnis, ein Werk, ein érgon,  etwas Gemachtes ist (z.B. Bauen). Die Griechen unterschieden diese zwei Typen der Tätigkeit durch die Verben práttein und poiéin, die Römer durch die Verben agere und facere. Auch in den modernen Sprachen hat man bis zu einem gewissen Punkt denselben Unterschied (z.B. tun - machen, engl. to do - to make, fr. agir - faire, it.  agire - fare, sp. actuar - hacer), aber er ist nicht so deutlich wie in den klassischen Sprachen. Die Sprache gehört offensichtlich dem zweiten Typ an, sie ist ein poiéin, ein facere, da das Gesprochene (oder Geschriebene) als Erzeugnis, als etwas Gemachtes  gelten kann und materiell, z.B. auf Tonband, aufgenommen werden). Dieser zweite Typ der Tätigkeit, das poiéin, kann seinerseits zweierlei sein:  nicht-schöpferisch und schöpferisch. Im ersten Fall realisiert man in der Tätigkeit ein "Machen-können", das man gelernt hat, eine dynamis, eine Technik, ohne etwas Neues, Erfundenes, nicht früher Gelerntes hinzuzufügen.  Es sind also die rein technischen Tätigkeiten, die eine vorhergehende dynamis realisieren und für die dieses vorhergehende dynamis die notwendige Bedingung ist. So kann jemand, der Stühle zu machen gelernt hat, unendlich viele Stühle nach einem gegebenen Muster machen. Im zweiten Fall realisiert man in der Tätigkeit kein vorhergehendes "Machen-können", keine schon gegebene (gelernte) dynamis oder Technik, weil man etwas ganz Neues schafft, erfindet. In diesem Fall kann das Gemachte zum Muster für ein späteres Machen werden, die Erfindung kann als Technik gelernt werden, kann also für eine spätere Tätigkeit als dynamis gelten. In diesem Sinne geht hier die Tätigkeit der dynamis voraus! sie schöpferisch, energéia

So kann das, was in der ersten Tragödie zum ersten Mal erfunden worden ist, nachgeahmt werden, also zur Technik der Tragödie als Gattung werden; aber in der ersten Tragödie war das Erfundene noch keine Technik, keine Gattungsrealisation. Zu diesem Typ des Machens gehören fast alle freien oder dichterischen Tätigkeiten in dem Maß, in dem sie eigentlich dichterisch sind.

Wenn also die Sprache eine energéia, eine dichterische Tätigkeit ist, muss sie auch Schöpfung, Erfindung des "Früher-nicht-existierenden" sin. Und so ist es auch in Wirklichkeit: der Beweis dafür ist der so genannte sprachliche Wandel, d.h. das in den Sprachüberlieferungen historisch ununterbrochene Erscheinen von Formen, sprachlichen Verfahren und Bedeutungen, die früher nicht existierten und die von den Sprechern geschaffen, erfunden worden sind. Auch hier wird das von irgendjemand Erfundene zum Muster für andere Sprecher, zur dynamis für ein weiteres Sprechen.

Die Tatsache, dass wir die Sprachschöpfung, die sprachlich3e Neuerung, normalerweise nicht in dem Augenblick der Erschaffung selbst feststellen, sondern erst nachdem sie sich gewissermaßen verallgemeinert hat, dass wir gewöhnlich nicht bis zum ersten Schöpfer eines Ausdrucks kommen können, stellt eine empirische Schwierigkeit dar, aber keine theoretische. Im Übrigen sind uns manchmal, wenn auch selten, die Sprachschöpfer bekannt. So wissen wir beispielsweise, dass Aristoteles sowohl die Bedeutung als auch den Ausdruck energéia geschaffen hat.

Sprache als 'ENERGÉIA', 'DYNAMIS', 'ÉRGON'

Nun aber bemerkt Aristoteles selbst, dass es beim Menschen keine reine energéia gibt. Die reine, absolute energéia ist nach Aristoteles der Geist als solcher, den er mit Gott identifiziert (Gott oder der Geist ist nämlich für Aristoteles die schöpferische Tätigkeit als solche, das Schaffen selbst, und nicht jemand, der schafft). Bei den menschlichen Tätigkeiten dagegen stellen wir immer die energéia neben der dynamis fest, die Freiheit neben der Historizität, das Schaffen neben der Technik, das Neuerfundene neben der Überlieferung, neben dem Gelernten und Wiederholten. Die menschlichen schöpferischen Tätigkeiten sind teilweise technisch, und sie sind energéia, reines Schaffen in dem Maß, in dem sie die Überlieferung, die dynamis, die gelernte Technik überholen. Die Dichtung, das Dichten als solches ist Schöpfung, aber in einem Gedicht gehört eine Seite zum Schaffen, zur absoluten Originalität, und eine andere Seite zur Technik, zur kulturhistorischen Überlieferung. Und so ist es auch bei der Sprache:  sie ist eine Verbindung von Schöpfung und Tradition, jedoch überwiegt bei  ihr, in Bezug auf die anderen freien Tätigkeiten, die Seite der  Überlieferung, der Technik, so dass man oft Schwierigkeiten hat, die  Sprachschöpfung zu erkennen und fast nur historisch bemerken wir, dass es  Sprachschöpfung gegeben hat, da die Sprachüberlieferungen sich verändert  haben. Das bestätigt uns, dass auch bei der Sprache nicht alles bloße Wiederholung ist. 

Man hat also bei den menschlichen Tätigkeiten eine Kombination, eine Dialektik zwischen Überlieferungen, historischen Traditionen und eigentlicher Schöpfung. Wenn diese Traditionen allgemeine Strukturen darstellen, heißen sie bei der Dichtung "Gattungen", bei der Sprache "Sprachen" (fr. langues).

Diesen Parallelismus zwischen literarischen Gattungen und Sprachen halten wir für grundlegend, sowohl für die Theorie der Gattungen als auch für die Theorie der Sprache. Die literarischen Gattungen sind wie die Sprachen technische Traditionen, als historische Gegenstände, die sich in der Geschichte verändern, und darum haben sie auch keine ideelle Definition:  sie können nur beschrieben werden, entweder historisch oder synchronisch.  So hat es für uns keinen Sinn zu fragen, was "eine Tragödie" ist (es wäre, wie wenn man fragen wollte, was "ein Spanisches" oder "ein Deutsches" ist):  man kann nur fragen, was die Tragödie ist, wie sie historisch geworden ist oder wie sie in einem bestimmten Augenblick ist.

Die Sprache ist im Grunde energéia, aber das schließt nicht die dynamis, die Technik aus, und andererseits kann die Sprache auch, wie alle schöpferischen Tätigkeiten, vom Gesichtspunkt der ihr entsprechenden Erzeugnisse betrachtet werden, also als érgon, Werk, als Sprachprodukt. 

Die Sprache kann daher von drei Gesichtspunkten aus betrachtet werden:

1) als energéia, Tätigkeit, Sprechen

2) als dynamis, Potenz, Sprechen-können

3) als érgon, Produkt, Gesprochenes.

DIE DREI EBENEN DER SPRACHE: UNIVERSELL, HISTORISCH, INDIVIDUELL

Diese Unterscheidung können wir mit einer anderen kombinieren. Die Sprache  ist nämlich eine universelle, allgemein menschliche Tätigkeit, die immer  von einzelnen realisiert wird (sie ist keine chorale oder kollektive  Tätigkeit), aber nicht einfach von den einzelnen als solchen, sondern indem  sie zu gewissen historischen Gemeinschaft (Sprachgemeinschaft) gehören,  indem sie gewissen sprachlichen Überlieferungen folgen. Wir stellen also bei der Sprache drei Ebenen fest, die normalerweise zusammen vorkommen, die wir aber auch getrennt oder zumindest nacheinander feststellen können! die universelle, die historische und die individuelle.

Wenn wir z.B. im Nebenzimmer jemanden sprechen hören, aber die Sprache, die  er spricht, nicht verstehen und die Person, die spricht, nicht erkennen  können, wenn wir nur sagen können, dass jemand spricht, dass ein Mensch da  ist und dass er seiner Stimme nach z.B. froh oder traurig oder wütend ist,  dann haben wir die universelle Ebene der Sprache allein festgestellt; wenn  wir hinterher das Gesagte z.B. als Deutsch erkennen und verstehen, dann  haben wir auch die historische Ebene festgestellt; wenn wir endlich "das  ist doch Peter!" sagen, haben wir die individuelle Ebene der Sprache  erkannt. 

Das führt uns zum folgenden Schema der Gesamtstruktur der Sprache im Allgemeinen:

 

 

Gesamtstruktur

energéia

dynamis

ergon

Tätigkeit           

Potenz                 

Produkt

das Sprechen        

Das Sprechenkönnen

das Gesprochene

 

Universell

das Sprechen

im Allgemeinen

das Sprechenkönnen

im Allgemeinen

das Gesprochene

im Allgemeinen

(die Gesamtheit aller “Texte“)

Historisch

die konkrete

Sprache

die virtuelle Sprache

(Sprache, die man kann)

(die abstrakte Sprache)

(kommt empirisch nicht vor)

 

 Individuell 

die Rede

(frz. discours

                 

der individuelle       

Sprachbesitz

der Text

 

Dieses Schema kann uns viele Fragestellungen erklären, die sonst nicht ganz deutlich sind und uns die Stellung der verschiedenen Sprachwissenschaften und ihre Verhältnisse zueinander genauer verstehen lassen. Wenn man z.B.  die Sprache im Allgemeinen als "die Tätigkeit, die Zeichen verwendet (oder besser, schafft)" definiert, so meint man das Universelle als Tätigkeit, als wirkliches Sprechen. Wenn man die Sprache im Allgemeinen als "Fähigkeit zum Sprechen" definiert, so meint man das Universelle als dynamis. Und wenn L. Wittgenstein die Sprache als "die Gesamtheit aller Sätze" definiert, so meint er das Universelle als Gesprochenes. Und auf der  historischen Ebene: für die Auffassung der Alten war eine Sprache die  konkrete Erscheinung der Sprache im Sprechen, eine Modalität des Sprechens,  als ein Adverbialbegriff (vgl. latine loqui, attikísein ("attisch  sprechen"), barbarísein  ("barbarisch sprechen") usw.). Für die moderne geläufige Auffassung ist eine Sprache die virtuelle Sprache: man spricht Sprachen (also realisiert man sie im Sprechen), man kann Sprachen. Und für den Sprachwissenschaftler ist gewöhnlich eine Sprache die abstrakte Sprache, die Sprache, die er selbst vom Sprechen abstrahiert hat.

DIE HISTORISCHE SPRACHE

Eine historische Sprache nennen wir die Sprache als Gefüge von Sprachtraditionen, als historisch-gewordenes Kulturprodukt. Sie ist kein homogenes System, das man unmittelbar analysieren kann. Auch im praktischem Sinn kann man nicht "das Französische im allgemeinen" lernen, mit allen möglichen Verschiedenheiten, und man spricht auch nicht "das Französische im Allgemeinen". Niemand spricht "das Deutsche seit den ältesten Zeiten bis  zur Gegenwart", sondern nur das Deutsche von einer bestimmten Epoche; und  niemand spricht alle deutschen Mundarten zugleich, sondern nur eine gewisse  Mundart. Gerade darum müssen wir in Bezug auf die historische Sprache einige weitere Unterschiede einführen.

DIACHRONIE UND SYNCHRONIE

Eine Sprache entsteht und entwickelt sich diachronisch, aber sie funktioniert immer synchronisch. Darum muss man, wenn man das Funktionieren einer Sprache erklären will, den synchronischen Gesichtspunkt aufnehmen.  [...] In seinem Buch Die Sprachwissenschaft, Leipzig 21901, S. 8 sagt Gabelentz, das "die ganze Sprache in jedem Augenblick lebt" und bemerkt dazu, das bedeute, "dass jede lebende Sprache in jedem Augenblick etwas Ganzes ist, und dass nur das im Augenblick Lebende in ihr wirkt". "Nicht Ei, Raupe und Puppe erklären den Flug des Schmetterlings, sondern der Körper des Schmetterlings selbst ..."

'WIEDERHOLTE REDE' und 'TECHNIK DES SPRECHENS'

Die Sprecher lassen in ihrem Sprechen verschiedene Systeme funktionieren  und wiederholen zum Teil Stücke von früheren Reden, ebenso wie man auf  einem Bild eine synchronisch funktionierende Technik finden kann neben  Stücken, die von früheren Bildern nachgeahmt oder einfach reproduziert  sind, oder in einer musikalischen Komposition Stücke, die von anderen  Kompositionen einfach übernommen sind. Daher unterscheiden wir in der Synchronie zwischen dem Gesprochenen oder der wiederholten Rede und der  Technik für weiteres Sprechen (die alles enthält, was zur Bildung neuer  Ausdrücke notwendig ist.).

Wir können in einem heutigen hochdeutschen Text Ausdrücke finden wie: Viel Feind, viel Ehr. Solche Ausdrücke wiederholt man als schon fixiert; sie entsprechen nicht den heutigen geläufigen hochdeutschen Regeln zum Sprechen. So wird im ersten Ausdruck der Teil viel nicht durch zahlreich oder groß ersetzt (man sagt nicht "Zahlreich Feind, große Ehr" ).

[Siehe Stichwort: Wiederholte Rede]

ARCHITEKTUR DER SPRACHE

In der Synchronie finden sich also wiederholte Rede und Sprachtechnik, und die synchronische Technik enthält verschiedene Systeme, die nicht zugleich, in demselben Text, funktionieren. In diesem Sinn sagt man, dass eine historische Sprache, auch synchronisch betrachtet, nicht ein System ist, sondern ein Diasystem, ein Gefüge von Systemen.  Wir müssen also der Verschiedenheit der Sprachtechnik in der synchronischen Sprache Rechnung tragen.

Dabei stellen wir drei Arten von Unterschieden fest:

a) im Raum: diatopische Unterschiede 

b) in den sozial-kulturellen Schichten: diastratische Unterschiede 

c) zwischen den Typen der subjektiven Ausdrucksweisen (z.B. zwischen einer familiären und einer gehobenen Ausdrucksweise): diaphasische Unterschiede

Die diatopischen Einheiten nenn man gewöhnlich Dialekte (Mundarten): ein Dialekt ist also eine Sprachtechnik, die man diatopisch ein einer historischen Sprache unterscheidet: eine Sprache innerhalb einer anderen Sprache, diatopisch abgegrenzt. Für die diastratischen und diaphasischen Einheiten oder Systeme gibt es keine allgemein üblichen Fachausdrücke; wir werden sie Sprachstufen (oder Niveaus) und Sprachstile nennen. 

Die großen Unterschiede findet man in den europäischen Sprachen vor allem im diatopischen Sinn, im Raume, und darum spricht man fast ausschließlich von Dialekten oder Mundarten.  Die diatopischen, diastratischen und diaphasischen Unterschiede treten in der historischen Sprache miteinander kombiniert auf: für jede Mundart kann man Sprachstufen und Sprachstile feststellen; für jede Sprachstufe mundartliche und stilistische Unterschiede, usw. Gerade diese Gestaltung von Mundarten, Sprachstufen und Sprachstile nenne ich die Architektur einer historischen Sprache.

Die Grenzen zwischen Mundarten, Sprachstufen und Sprachstilen müssen nicht unbedingt zusammenfallen.

Normalerweise spricht man von Mundarten nur in Bezug auf die unteren Stufen der Sprache, weil die diatopischen Unterschiede gewöhnlich auf diesen Stufen besonders bemerkenswert sind. Aber diatopischen Unterschiede und folglich "Mundarten" gibt es auch auf der höchsten Stufe der Sprache, z.B.  zwischen dem Französischen von Frankreich und dem von Kanada. 

DIE FUNKTIONELLE SPRACHE

Um eine wirklich einheitliche, homogene Sprachtechnik festzustellen, müssen wir uns also auf einen einzigen Punkt des Sprachraumes, auf eine einzige sozial-kulturelle Schicht und auf einen einzigen Stil beschränken. Eine solche Sprachtechnik ist folglich nicht nur synchronisch, sondern auch syntopisch, synstratisch und synphasisch (z.B. zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine bestimmte Mundart, auf einer bestimmten Sprachstufe und in einem bestimmten Stil). Nur eine solche Sprachtechnik kann unmittelbar in der Rede realisiert werden und nur in Bezug auf eine solche Sprachtechnik ist der Begriff "Sprachsystem" wirklich sinnvoll.  Eine solche einheitliche, homogene Sprachtechnik nennen wir eine funktionelle Sprache. Eine funktionelle Sprache ist eine Sprache, die unmittelbar gesprochen, in der Rede realisiert werden kann; darum bezieht sich die saussure'sche Unterscheidung zwischen langue und parole gerade auf diese Sprache und nicht auf die historische Sprache.

SYSTEM UND NORM

In der funktionellen Sprache unterscheiden wir: das System und die Norm. Das System enthält alles, was objektiv funktionell ist, d.h. alles, was die sprachlich unentbehrliche Gegenüberstellung darstellt; die Norm alles, was objektiv nicht funktionell, aber im Sprechen normal, gemeinsam, traditionell ist. Das, was in einer Sprache zum System gehört, kann in einer anderen nur zu der Norm gehören, und umgekehrt.  Um eine Sprache richtig und völlig zu beschreiben, muss man sowohl ihr System als auch ihre Norm betrachten. Und so auch in praktischer Hinsicht:  um eine Sprache richtig zu sprechen, muss man sowohl ihr System als auch ihre Norm beachten. Das gilt für die materielle und für die inhaltliche Seite der Sprache.  Ein und demselben System können aber mehrere Normen entsprechen. In diesem Fall gehören sie natürlich zu der Architektur der Sprache. Das System und die Norm einer funktionellen Sprache stellen ihr Struktur dar.

STRUKTUR DER SPRACHE: SYSTEM, NORM, REDE

Wir haben also, für eine funktionelle Sprache, folgende Schichten der Struktur:

   System (das Funktionelle)

   Norm (das einfach "Normale", "Gemeinsame")

   Rede (die Realisierung der Sprache im Sprechen)

SPRACHTYP

Vom System aus können wir noch höher gehen und zwar in zwei Richtungen.  Entweder betrachten wir nur die abstrakte Form der funktionellen Sprache,  ohne die Substanz ihrer Realisierung in den unteren Schichten, und in  diesem Fall kommen wir zum Schema der funktionellen Sprache, wie in der  so genannten "Glossematik" von L. Hjelmslev. Oder wir betrachten die strukturelle Analogie der verschiedenen Gebiete des Sprachsystems, und in diesem Fall kommen wir zum Sprachtyp. Der Sprachtyp ist also die ideelle Einheit der strukturellen Verfahren einer Sprache auf den verschiedenen Gebieten ihres Systems, z.B. beim Nomen und beim Verbum, in der Wortbildung und in der Satzbildung usw. Da jede Sprache als solche eine Technik ist, stellt der Sprachtyp ihre höchste technische Einheit dar. 

SCHEMATISCHE DARSTELLUNG

Wir erhalten also folgenden Aufbau der historischen Sprache:

[Coseriu, Eugenio: Das romanische Verbalsystem. Tübingen: G. Narr, 1976, S.  17-35]

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